Kennt ihr diesen einen Song, den’s bei jedem Festl am Land irgendwann spielt? Wenn die Hemmungen schon so weit unten sind, dass sie beinahe den steigenden Alkoholisierungsgrad wieder ausgleichen. Tausend Mal berührt. Tausend Mal ist nichts passiert. Tausend und eine Nacht … und es hat Zoom gemacht … grölen dann alle mit.

… und es hat es Zoom gemacht. Genauso geht’s mir bei gewissen Weinen. Nein, nicht ob der Quantität des Konsums. Sondern weil sie geschmacklich so in die Vollen greifen, dass sie etwas in einem bewegen. Meistens sind das Weine, die schon ein paar Jahre am Buckel haben. Gereifte Weine, sagen die Profis. Also frage ich genau die. Zwei professionelle Trinkerinnen, und das meine ich mit allem Respekt, der ihnen zusteht. Warum soll man reife Weine trinken? Warum soll frau warten? Und da wir im Weißweinland Niederösterreich sind: Warum zum Teufel alte weiße Weine? 

Ich frage zwei junge Frauen. Die Sommelière des Jahres Helena Jordan und die Journalistin Juliane Fischer, die seit vielen Jahren über Wein und Kulinarik schreibt. Wir treffen einander am Weingut ihres Bruders: bei Viktor Fischer in Wagram im Traisental. Die beiden verkosten, ich stelle die blöden Fragen. Also
die, die man sich normalerweise nicht zu stellen traut, weil Wein gleich so ein Respektsthema ist. Zeit, den heiligen Gral zu kippen.

 

Warum soll ich reife Weine trinken?

Helena Jordan: Ich zitiere da gerne den großen italienischen Weinmacher Emidio Pepe: Weine sind wie Menschen. Junge sind total spannend, cool, lustig. Man kann eine ganze Nacht mit ihnen durchsaufen. Reifer Wein braucht mehr Zeit und man muss ihm zuhören. Dann hat er aber unglaublich viel zu erzählen, weil so viele Ebenen drin sind. Er verändert sich ständig, selbst im Glas. Also ich trinke reife Weine auch langsamer, das ist wie Kommunikation mit dem Wein.

Juliane Fischer: Ich stimme in allen Punkten zu. Außer bezüglich Bekömmlichkeit: Ich vertrage zu junge Weine oft nicht so gut, wahrscheinlich weil sie meist mehr Schwefel enthalten. Weine, die nicht für den schnellen Konsum gemacht wurden, sind auch nach vielen Jahren noch gut zu trinken.

Was ist eigentlich reifer Wein für euch? 

Helena: Schwierig zu sagen. Also gereift ist für mich ein Wein frühestens nach drei bis vier Jahren.

Juliane: Manchmal entdeckt man auch in jüngeren Weinen Reifetöne. Dann würde ich sagen: Dafür dass er so jung ist, hat er die schon. 

Also gibt es auch hier eine Parallele zu Menschen? Da sagt man ja auch oft: Dafür, dass er erst so jung ist, ist er schon sehr reif. Oder andersrum: Dafür, dass sie schon älter ist, ist sie noch immer sehr jung … Aber kommen wir zu den praktischen Dingen. Wie erkenne ich, ob ein Wein schon reifer ist?

Juliane: Beim Verkosten unterscheiden wir zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen. Tertiäre Aromen entstehen durch die Lagerung – die haben nur reife Weine.

Helena: In Aromen gesprochen, erkennt man Reife zum Beispiel an Brioche- oder Brot-Tönen in der Nase. 

Juliane: Kandierte Früchte sind auch typisch. Bei reifem Riesling sind das oft Steinobsttöne, zum Beispiel getrocknete Marillen.

Helena: Und getrocknete Blumen. Heu.

Was haltet ihr eigentlich vom Aromarad? Das wird in vielen Weinseminaren beim Verkosten zu Hilfe genommen, um Aromen zu benennen.

Helena: Das ist total wichtig, um zu lernen. Benutze ich es noch? Nein. Lege ich es jemanden vor die Nase, der noch lernt? Auf jeden Fall! Es geht beim Verkosten ja darum, Dinge zu benennen, die man schmeckt. Und da hilft es, Begriffe vor sich zu haben.

Juliane: Wein verkosten ist wie eine Fremdsprache lernen. Es ist vor allem Übungssache. Und es ist spannend zu sehen, wie sich das Verkosten zum Beispiel durchs Reisen ändert. Ich bin gestern aus Marrakesch zurückgekommen und war gleich anschließend auf einer Verkostung. Plötzlich habe
ich Kurkuma und Kardamom im Wein geschmeckt. Womit du dich umgibst, das ist dein Referenz-
rahmen.

Helena: Du kannst nur schmecken, was du kennst.

Wie erkenne ich als Konsumentin, ob ich eine Flasche aufmachen oder lieber noch liegen-
lassen soll?

Helena: Das ist eine sehr schwierige Frage. Die kann man nicht einfach beantworten. Es kommt, wie so oft, auf den Winzer an, auf die Art wie der Wein gemacht wurde. Ein Weingut, das mir sofort zum Thema eingefallen ist, ist der Nikolaihof in Mautern an der Donau. Hier kann man viele ältere Jahrgänge kaufen. Der Winzer Niki Saahs bringt aber auch viele Weine überhaupt erst Jahre später in den Verkauf. So wie diesen Grüner Veltliner Smaragd Steinterrassen aus dem Jahr 2012. Der wurde erst 2023 in die Flasche gefüllt – nach über 10 Jahren! 

Juliane: Generell kann man sagen, dass Zucker, Alkohol und Säure einen Wein fürs Alter stärken. Im Laufe der Jahre binden sie sich oft immer mehr ein. Ist ein Wein vielleicht in jungen Jahren sehr säurebetont, so wird die Säure über die Zeit wahrscheinlich runder. Auch das meine ich damit, dass reifere Weine oft bekömmlicher sind.  

Reifer Wein braucht mehr Zeit,
und man muss ihm zuhören.
Dann hat er unglaublich viel zu erzählen.

Und was ist mit Rebsorten? Gibt es Sorten, die besser reifen als andere?

Juliane: Es gibt Sorten, die sich besser dafür
eignen und andere weniger. Riesling kann zum Beispiel toll reifen.

Helena: Aber auch Grüner Veltliner! Nur sind es viele nicht gewöhnt, dass Grüner Veltliner nicht jung/frisch/fruchtig schmeckt. Es ist ein anderes Geschmackprofil, an das man sich erst herantasten muss. Außerdem ist es auch Stimmungssache. An einem heißen Sommertag greife ich zu einem anderen Wein als zu Weihnachten.

Juliane: Aber genau da machen viele eine Flasche des neuen Jahrgangs auf …

Helena: Genau das geht gar nicht, finde ich! Zu Weihnachten einen Wein aus demselben Jahr zu trinken … 

Apropos Festschmaus. Wie kombiniere ich reife Weine mit Essen? 

Helena: Gereift und gebacken – das passt bestens zusammen. Reife Weine können super zu starken Aromen kombiniert werden.

Und wann öffne ich die Flasche vor dem Essen?

Helena: Auch dafür gibt es keine Grundregel. Ich mache es meistens ein bis zwei Stunden vorher. Ist er dann noch zu verschlossen, dekantiere ich ihn. Mit Dekantieren kann man nie etwas falsch machen. Außer der Wein ist schon so alt, dass er dir wegstirbt … Zu viel Luft kann ein Wein aber im seltensten Fall bekommen. Wer keinen Dekantierer hat, nimmt einfach ein großes Glas, am besten ein Burgunderglas.

Gibt es eigentlich Weinregionen, die prädes-tinierter sind als andere, um reife Weine zu trinken?

Helena: Spontan denke ich in Österreich da ans Burgenland – das liegt aber vor allem an den Sorten.

Juliane: Ich finde, es liegt an den Rebsorten – und an dem, was der Winzer daraus macht. Das ist wie bei Brot. Wenn man gute Zutaten verwendet und dem Teig viel Zeit zum Reifen gibt, schmeckt es besser und hält länger. Wenn ein Wein spontan vergoren wird, also ohne zugesetzte Hefen, dauert das länger, kann den Wein aber langlebiger machen – genauso wie durch den Luftaustausch in einem Holzfass. Das kann man in jedem Weinbaugebiet machen.

Wie lagere ich Wein am besten?

Helena: Im Küchenkastel, in der Sonne, bei trockener Luft – so bitte NICHT. Hände weg von Weinregalen im Wohnzimmer, da ist es viel zu warm. Mehr als 15 Grad sollten’s nicht sein. Zu kühl geht fast gar nicht.

Was noch gesagt werden muss: Das ist kein Gespräch im Trockenen. Parallel verkosten wir Weine vom Nikolaihof aus der Wachau und vom Bioweingut Viktor Fischer. Der Gastgeber hier in Wagram im Traisental setzt beim Thema schon länger auf den Faktor Zeit. Die ersten Weine des neuen Jahrgangs gibt es frühestens ab dem Frühling des Jahres darauf. Seinen Grünen Veltliner aus der Riede Gaisruck lässt er mehrere Monate im großen Holzfass reifen – das stammt übrigens auch aus dem Traisental von der Fassbinderei Schön. „Viele fragen nach dem aktuellen Jahrgang, dabei steht der Jahrgang 2022 gerade richtig schön da“, findet der Winzer. Wer eine reifere Flasche probieren will, kann das am Weingut nach Vereinbarung auch machen.

Der kleine Ort Wagram befindet sich im nördlichen Zipfel des Traisental. Das ist eines der kleinsten und jüngsten Weinregionen Österreichs. Fragen wir die Profis, was sie damit verbinden!

Juliane: Vom Traisental hat man noch nicht so ein klares Bild im Kopf, da muss man noch viel dazu erklären. Obwohl es hier prozentuell so viel Grünen Veltliner wie sonst nirgendwo gibt, kann man auch viele seltene Sorten entdecken, wie den Roten Muskateller. Vom klassischen Veltliner bis zum maischevergorenen ist alles dabei. Und auch als Rotweinliebhaber findest du im Traisental etwas.

Helena: Das Traisental ist sicher eine total unterbewertete Region. Du bekommst hier die gleiche Qualität wie in angrenzenden Regionen, aber zahlst nur die Hälfte. Also definitiv ein Geheimtipp, wo man als Konsument gut einkaufen kann!

Schlussplädoyer. Danke allen für den spannenden Input. Seien es Worte, Werte oder Weine. Einen meiner ersten Zoom-Momente mit gereiften Weinen hat mir übrigens eine Winzerin geschenkt: Ilse Mazza aus der Wachau. Ihr Grüner Veltliner Smaragd Ried Weitenberg aus 1997 war ein echtes Erlebnis. Heute führt sie den Betrieb gemeinsam mit ihrer Tochter Christine. Riesling Smaragd Ried Achleiten 2021 ist auch gerade super!

Zwei Steiningers am dritten Platz
Von Amalfi-Zitronen bis Tonkabohnen-Zucker