
Kunsthalle-Krems-Direktor Florian Steininger und
Kuratorin Barbara Steininger-Wetzlmair pendeln zwischen Wien, Krems – und einem verschlafenen Ort im Waldviertel. Willkommen im Grafikkabinett Erich Steininger in Kirchbach.
Scharf links abbiegen. Wirklich scharf. So dass man ordentlich am Lenkrad kurbeln muss. Dann geht’s Richtung Grafikkabinett Erich Steininger, der ehemaligen Volksschule im Dorf. Im Schidorf, wohlgemerkt. Kirchbach hat nämlich auch einen Schihang, der, wenn es so warm wie jetzt ist, ganz in Grün Richtung Ortsmitte strahlt. Die Stangen der Beschneiungsanlage an der Piste ragen verlassen in den Himmel. Die Vögel pfeifen drauf, Frühling ist!
Volksschule steht in großen Lettern auf der Fassade. Bis in die 1990er Jahre wurde hier unterrichtet, auch Erich Steininger selbst. Der Künstler wurde im Nachbarort geboren, ging in Kirchbach zur Schule – und mietete später den ersten Stock als Ferienwohnung. Als die Schule schließlich geschlossen wurde, kaufte er sie und machte sie ganz zum Ort für Kunst: zum Grafikkabinett Erich Steininger.
„Die Kunst war immer da“, erzählt Florian Steininger. Er ist mit den Werken seines Vaters aufgewachsen und pendelt heute zwischen seiner Wohnung in Wien und der Kunsthalle Krems, die er seit 2016 leitet. Kirchbach? Mehr als eine Erinnerung. Sondern der dritte Ort der Steiningers. Der Platz, wo sie eben auch noch sind, abseits vom Wohnen in Wien und Arbeiten in Krems. Kirchbach also. In dem verschlafenen Waldviertler Dorf zeigen Florian Steininger und Barbara Steininger-Wetzlmair jedes Jahr die Werke des
(Schwieger-)Vaters im Dialog mit anderen künstlerischen Positionen.
„Ich hab den Turnsaal“, sagt Barbara Steininger-Wetzlmair. Sie bespielt den Raum mit Kunst aus der freien Szene – und macht ihn zum offspace woodquarter. Die ehemalige erste und zweite Klasse sind dem Dialog gewidmet: zwischen den Werken Erich Steiningers und seinen Wegbegleitern. 2024 ist das Tone Fink.
Kirchbach also. Das Dorf wirkt wie aus der Zeit gefallen. Gespickt mit Details, die in zentraleren Orten längst geschleift wurden. Glatt oder platt gemacht wurden. So wie die Volksschule selbst, in der viele Details noch aus den 1950er Jahren stammen: der Steinboden im Gang, die kugelrunden Lampen. Die Glaskästen in den Klassen, in denen früher wahrscheinlich die Schulbücher gesammelt wurden, zeigen heute Motive von Erich Steininger. Meistens Holzschnitte, die
Technik hat er über Jahrzehnte praktiziert
und verfeinert.
„Ich habe ihm oft assistiert“, erzählt Florian. Den großen Holzschnittplatten, die bei Veranstaltungen heute zu Tischplatten umfunktioniert werden, sieht man an, wie viel Arbeit in ihnen steckt. Jeder Millimeter wurde per Hand aus dem Holz geschnitten. So komponierte Erich Steininger Arbeiten, die mehrere Quadratmeter groß waren. „Sein größtes Werk war 14 Meter lang und 4,80 breit. Daran hat er fünf Jahre lang gearbeitet“, erzählt Florian Steininger. „Ein Zugang, der in Zeiten von KI beinahe anachronistisch wirkt. Meinem Vater war der physische Prozess immer sehr wichtig. Das Zeichnen, das Schneiden der Form, das Drucken selbst.“



Zunächst Schwarz-Weiß. Dann Rot. Später bunt. Im Grafikkabinett kann man sehen, wie Erich Steininger seine Holzschnitte immer weiterentwickelte. Wer Glück hat, bekommt auch einen Einblick ins Archiv. Auf dem Weg dorthin knarren die alten Holzstiegen, wenn man auf ihnen emporsteigt. Vorbei an einer Serie aus Zeichnungen, hinauf in die Kammer des Entdeckens. Ein Platz voller Patina. Intim, auch weil hier viel Persönliches platziert ist.
„Obwohl ich ihn ein Jahr verpasst habe, spüre ich ihn hier. Nein, ich will nicht esoterisch klingen …“, lacht Barbara. Erich Steininger starb 2015 – und die 25 Meter große Linde, die im Garten vor der Volksschule stand, mit ihm. Sie wurde im selben Jahr morsch und musste abgeschnitten werden. Heute ragen ihre drei Stämme in den Himmel. Fast schaut sie selbst aus wie eine Skulptur. Manchmal tun es ihr andere Kunstobjekte gleich und machen auch die Wiese rund ums Haus zum Ausstellungsraum. Zum Kunstrasen. Selbst wenn’s gerade keine aktuelle Ausstellung gibt, erinnert daran der senfgelbe Schaumstoffwürfel, auf dem groß Kirchbach 45 prangt.
„Ich finde es schön, dass viele Künstlerinnen und Künstler auf den Ort hier eingehen“, erzählt Barbara. „Dieser Ort ist eben kein White Cube, sondern einer, der Geschichten erzählt. Damit kann man künstlerisch arbeiten.“ In Kirchbach kann man Kunst also auf sehr besondere Art erleben.
Dieser Ort ist eben kein
White Cube, sondern einer,
der Geschichten erzählt.




Am besten macht man dabei auch einen Abstecher in die Gemischtwarenhandlung von Grete Prichenfried. Die Greißlerei mitten im Ort bietet eine Reise in Zeiten, in denen sich der Alltag im Dorf abspielte – und man das, was man so brauchte, bei Familie Prichenfried kaufte. Einige treue Stammkunden tun das auch heute noch – und bekommen bei der Greißlerin neben Käsestangerln und Milchschokolade auch Kopftücher und Strumpfhosen.
„Obwohl ich Wiener bin, bin ich mindestens zu 50 Prozent auch Waldviertler“, lacht Florian. Für Frau Prichenfried ist und bleibt er „der Sohn vom Steininger“. Als Direktor der Kunsthalle Krems ist Florian Steininger mit Künstlerinnen und Künstlern auf der ganzen Welt vernetzt. „Hier in Kirchbach spüre ich eine besondere Art der Verwurzelung. Mein Vater war ja total im Ort integriert. Wir haben zusammen hier auch immer sehr viel Tennis gespielt. Es war spannend, wenn beim jährlichen Tennisturnier in Rapottenstein dann die Welten aufeinandergeprallt sind. Die Wiener auf die Einheimischen. Wenn einer aus dem Dorf gewonnen hat, war das natürlich ein Riesenjubel.“
Die Fassade vom Vereinshaus der Tennisunion Rapottenstein hat übrigens Erich Steininger gestaltet. „Dafür habe ich die Silhouetten der Spieler damals aus einem Tennismagazin abgepaust: Boris Becker, Steffi Graf, Thomas Muster. Mein Vater hat sie dann zu einem Motiv verwoben und als Sgraffito am Vereinshaus umgesetzt – dort befindet es sich bis heute.“
Das ist nicht die einzige Arbeit von Erich Steininger im öffentlichen Raum. Für die U-Bahnstation Enkplatz in Wien hat er Spiegelbilder gestaltet, für das Stift Zwettl ein Fastentuch. Das war Erich Steiningers letzte Arbeit – bei einer Begehung der Kapelle brach der Künstler plötzlich zusammen. „Bezeichnend, weil mein Vater sein Leben lang ein religiöser Mensch war. Eigentlich ein Mönch – bis er meine Mutter kennenlernte“, so Florian.
Die Steiningers verbringen heute mit ihren Familien viel Zeit an ihrem „dritten Ort“. Wer vorab einen Termin vereinbart, bekommt viel: einen Einblick ins Werk von Erich Steininger, spannende zeitgenössische Positionen. G’schichten vom Ort, von früher. Für Kinder gibt es an ausgewählten Terminen auch Workshops, bei denen sie selbst kreativ werden können. Da nützt Barbara ihr Wissen aus der Kunstvermittlung, um auch die Kleinen in den Bann dieses Ortes zu ziehen – auch mit Objekten, die eine Verbindung zur Ausstellung herstellen. „Da nehmen wir zum Beispiel einen Stein und besprechen: Wie fühlt sich der an? Was kann man mit ihm machen?“
Rau, strukturiert, echt. Der dritte Platz der Steiningers fühlt sich nach Waldviertel an. Auch wenn’s nicht gerade einen Steinwurf entfernt ist: Auf nach Kirchbach.